ECHT STARK! Endlich ein Projekt zur Prävention von sexueller Gewalt, das sich an die PädagogInnen und SchülerInnen der Förderschulen und der Schulen für geistig Behinderte richtet.
Für diese Zielgruppe gibt es bisher nur wenig Erfahrung und kaum Materialien. Der Bedarf und die Nachfrage dagegen sind sehr groß. So entstand im Präventionsbüro PETZE die Idee, ein Angebot für lern- und geistig behinderte Kinder und Jugendliche zu entwickeln. Die PETZE hat das Grundschulprojekt ECHT KLASSE! modifiziert und das Ergebnis ist die Wanderausstellung ECHT STARK! Mut-mach-Stationen zur Prävention von sexuellem Missbrauch sowie Prävention – ECHT STARK!.
Im Zusammenarbeit mit dem PETZE-Institut in Kiel hat die Hochschule Merseburg die ECHT STARK! nun nach Sachsen-Anhalt geholt. Kooperierend mit der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz in Magdeburg, Wildwasser Halle (Saale) und dem Mobilen Informationszentrum „Sexuelle Gewalt/Jungen“ des Kinder- und Jugendhilfswerks Gernrode e.V. soll zukünftig ein flächendeckender Einsatz der Ausstellung in Sachsen-Anhalt ermöglicht werden.
Die Umsetzung dieses Vorhabens kann nur mit Unterstützung von außen gewährleistet werden, da der Transport und der logistische Aufwand zum Verleih der Ausstellungen sehr kostenintensiv ist. Dass es sich lohnt, ist unumstritten, denn…
… Mädchen und Jungen mit einer Lernbehinderung oder einer geistigen Behinderung sind besonders gefährdet, Opfer von sexueller Gewalt zu werden. Risikofaktoren sind u. a.:
- ihre große Abhängigkeit von anderen Menschen
- kognitive Unterlegenheit
- Pflegebedürftigkeit und großer Unterstützungsbedarf im täglichen Leben
- soziale Isolierung
- oft sind die Kommunikationsmöglichkeiten eingeschränkt, es bestehen
- Schwierigkeiten, sich mitzuteilen. Für einige Mädchen und Jungen ist Körperkontakt
- ein Mittel zur Kommunikation
- viele medizinische Untersuchungen und Therapien, bei denen andere Menschen
- über ihren Körper verfügen, erschweren es den geistig
- behinderten Mädchen und Jungen, ihren Körper als den eigenen Körper
- wahrzunehmen und die eigenen Grenzen zu spüren. Die Grenzen verschwimmen.
- Grenzüberschreitungen sind für geistig behinderte Kinder schwer wahrzunehmen
- es fehlt oft eine begleitende, individuell angemessene Sexualerziehung
Betroffene Schüler_innen machen auf ihre Weise auf sich aufmerksam. Sie zeigen z. B. Verhaltensstörungen, Wahrnehmungsstörungen, aggressives Verhalten gegen sich und andere. Diese Signale sind oft schwer abzugrenzen von Folgen der Behinderung, sie werden im Schulalltag häufig übersehen oder vorschnell der Behinderung zugeschrieben. Das kann nötige und mögliche Hilfe für das Kind verhindern.
Das Wahrnehmen der Signale der Mädchen und Jungen und die Vermutung, dass einzelne Schüler_innen sexuellen Missbrauch erleben, ist für die Pädagog_innen verbunden mit Gefühlen von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Wut und Angst oder Überforderung.
Die Schulen für geistig Behinderte (meist Tagesschulen) und die Förderschulen haben eine große Bedeutung und Verantwortung für das Wahrnehmen von Signalen betroffener Kinder, für das Einleiten notwendiger Handlungsschritte zur Intervention sowie für die Prävention von sexuellem Missbrauch.
Die Schüler_innen sind kaum in der Lage, sich selbständig Informationen zu beschaffen und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Beratungsbedarf für Schüler_innen mit Lern- oder geistiger Behinderung erfolgt in der Regel über eine Bezugsperson, und das sind meist die Pädagog_innen der Schule. Sie sind wichtige, oft die einzigen Bezugspersonen außerhalb der Familie, denen sich die Kinder anvertrauen können oder die aufmerksam werden und entsprechende Handlungsschritte einleiten könnten.
Prävention kann sich nicht auf die Durchführung eines zeitlich begrenzten Projektes beschränken, sondern ist als Haltung der Pädagog_innen den Kindern und Jugendlichen gegenüber zu verstehen.
Die Mädchen und Jungen sollen in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden und wissen, dass sie einmalig und wertvoll sind. Sie sollen befähigt werden, Grenzverletzungen als solche wahrzunehmen und Wege zu finden, sich auf ihre Weise einer Person ihres Vertrauens mitzuteilen.
Die inhaltliche Arbeit mit den lern- und geistig behinderten Schüler_innen zu den Präventionsbausteinen stellt hohe Anforderungen an die Pädagog_innen.
Die Klassen sind in ihrer Zusammensetzung sehr heterogen hinsichtlich Art und Schwere der Behinderung, hinsichtlich des Sprachvermögens und der kognitiven Entwicklung. Es besteht eine oft erhebliche Diskrepanz zwischen dem biologischen Alter und dem Entwicklungsalter. Die Lesekompetenz der Mädchen und Jungen ist sehr unterschiedlich, meist begrenzt.
ECHT STARK! bietet niedrigschwellige, aber nachhaltige Voraussetzungen zur Auseinandersetzung mit diesen Themen und Lernmöglichkeiten, die Spaß machen, nicht über- aber auch nicht unterfordern und jedes einzelne Kind seinem Fähigkeiten entsprechend fördert.
© Barbara Ränge
PETZE-Institut
Hochschule Merseburg